Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Martin Engelhardt entstanden. Wir nutzen den Artikel zur Veranschaulichung der Class-A Methodik im Zusammenhang mit dem Design.
Class-A im Allgemeinen ist eine Expertise zur Optimierung von
sichtbaren Oberflächen und wird vorrangig im Automobilbau eingesetzt. Die Anforderungen sind dabei vergleichsweise hoch, nicht zuletzt was das Umsetzen von Designs angeht. Neben herstellungsspezifischen Kriterien wie das einzusetzende Material, spielen auch ergonomische Faktoren und Sicherheitsaspekte eine wichtige Rolle. Material- und Teiletrennungen sowie Fugen, die entstehen, wenn sich viele Einzelteile treffen, müssen formal entwickelt und optisch ausgeglichen werden, um dem zugrunde liegenden Design zu entsprechen. Class-A Surfacing oder auch STRAK beschäftigt sich mit diesen Problemen und erreicht im Ergebnis eine sehr hohe Qualität. Wir zeigen anhand eines Beispieldatensatzes eines realen Produkts das Optimierungspotenzial der Class-A Methodik. Unser Fokus liegt dabei in der realistischen Abbildung des Entwicklungsprozesses. Dafür teilen wir das Projekt in drei Phasen ein. Diese umfassen die Analyse, die Aufbereitung des technischen Modells und das Nachempfinden der Serie. Anschließend untersuchen wir die unterschiedlichen Qualitäten im direkten Vergleich. Ziel ist das Aufzeigen des Potenzials von Class-A innerhalb des Designs.
Grundlagen
Technik
Um den Anforderungen steter Entwicklung gerecht zu werden bedarf es einer flexiblen Methode zum Modellieren von Flächen. Darüber hinaus
unterliegen die Flächen unterschiedlichen Qualitätsanforderungen. Dazu gehört in erster Linie die Präzision. Was für eine geradlinige Konstruktion einfach zu realisieren ist, erweist sich bei gekrümmten, beliebig im Raum liegenden Geometrien als außerordentlich schwierig. Die zu erstellende Geometrie muss später herstellbar sein, d. h. sie muss entsprechend der Fertigung etwa entformbar sein oder darf keine zu großen oder zu kleinen Grate aufweisen.
Es gibt verschiedene grundsätzliche Methoden um Flächen zu definieren. Dass kann zum Beispiel polygonal erfolgen. Dabei werden Punkte und Kanten verbunden, denen Koordinaten zugewiesen wurden, um eine Fläche zu bilden. Drei solcher Punkte müssen mindestens gegeben sein, um eine Fläche zu erzeugen. So trivial das zunächst erscheint, können auch unendlich viele Punkte verwendet werden wie bei einem sog. N-Eck. Was für einen Körper wie dem Quader relativ leicht ist, der nur acht Punkte benötigt, ist für eine Kugel, ja selbst für einen Kreis, deutlich schwieriger. Je nach Aufbau müssen wir uns dem Kreis annähern, denn Verbindungen zwischen Punkten können nicht gebogen oder gekrümmt werden. Um folglich zu einem Kreis zu gelangen, benötigen wir sehr viele Unterteilungen (subdivisions), vorausgesetzt, der Kreis soll für das menschliche Auge als Rund erscheinen.
Viele Unterteilungen bilden das Hauptproblem was polygonales Modellieren mit sich bringt. Die Rede ist von der Kontrolle. In der Industrie sowie im Design entwickelt sich eine Form im laufe der Zeit stetig weiter. Jeden Punkt erneut anzupassen ist dann sehr zeitintensiv. Zumeist ist ein kompletter Neubau der Konstruktion schneller. Natürlich kann man mit all den Unterteilungen weiter arbeiten, aber das ist wirtschaftlich
gesehen nicht effektiv. Polygonales Modellieren eignet daher besonders für das Prototyping oder dem Sculpting, also überall dort, wo die Flächenpräzision keine Rolle spielt oder zu komplex ist. Komplex meint in diesem Zusammenhang zum Beispiel viele ungleichmäßige Fragmente die etwa bei der Modellierung eines organischen Modells auftreten.
Eine andere Methode nutzt das sog. NURBS Modelling. Dabei beschreibt ein Algorithmus das darzustellende Modell. Einfach gesagt können hierbei die Verbindungen (Kanten) der Punkte gebogen sein. Diese Krümmung wird über den Algorithmus berechnet, und kann Tangential-, Krümmungs- oder Torsionsbasiert erfolgen. Ein deutliches Unterscheidungsmerkmal des NURBS basierten Modellierens sind die Kontrollpunkte, welche „über“ der eigentlichen Geometrie zu schweben scheinen. Diese Kontrollpunkte können jedoch in deutlich geringerer Zahl sehr komplexe Strukturen abbilden. Dass macht sie ideal für den Class-A Prozess, denn weniger Kontrollpunkte modifizieren zu müssen bedeutet auch mehr Kontrolle über die Geometrie zu haben. Daher setzt man im Class-A Prozess überwiegend NURBS basiertes Modellieren ein.
Polygon vs NURBS
Grundsätzlich sind beide Methoden dazu in der Lage, jede erdenkliche Form abzubilden. Deutlich mehr Kontrolle bei gewölbter Geometrie bietet jedoch die NURBS basierte Methode. Mit der geringeren Kontrollpunktunterteilung lassen sich gewölbte Flächen sehr präzise modifizieren.
Der Würfel wird im oberen Beispiel von rechts nach links mit verschiedenen Techniken bombiert (wölbende Verformung), was den Radius beeinflusst. Achten sie dabei auf die Größe der Radien. Diese bekommen zunehmend mehr Anlauf und werden mathematisch größer, optisch gesehen aber verändern sie sich kaum.
Was versteht man unter Tangential, Krümmung und Torsion?
Man beschreibt in der NURBS Methode mit diesen Begriffen die Ordnung einer Flächen- oder Kurvengeometrie und damit die Anzahl der Kontrollpunkte. Die Position stellt die erste Ordnung dar und definiert die Koordinaten und somit die Verortung im Raum. Tangenten definieren vereinfacht gesagt die erste Neigungsstufe oder die Wölbung einer Kurve oder Fläche und damit die Verbindung der Positionspunkte. Die Kontrollpunktreihe erhält damit mindestens einen weiteren Kontrollpunkt. Krümmung und Torsion steigern diesen Effekt und addieren jeweils einen weiteren Kontrollpunkt hinzu. Eine torsionsbasierte Kurve hat somit acht Kontrollpunkte. (Pos., Tan., Krüm., Tor., Tor, Krüm., Tan., Pos.)
Expertise
Ein Modelleur im Bereich Class-A muss nicht zwingend eine Ausbildung im Design vorweisen können, aber es wäre hilfreich. Class-A beschäftigt sich vor allem mit der Qualität der Gestaltung und verlässt sich dabei nicht allein auf eine präzise Geometrie, sondern viel mehr auf den Blickwinkel des Betrachters. Der Mensch neigt dazu, aus bestimmten Blickwinkeln Fehler in einer mathematisch korrekten Konstruktion zu sehen. Daher werden solche Unregelmäßigkeiten im Prozess ausgeglichen, bis sie perfekt auf den Betrachter wirken. Damit verlässt man allerdings eine mathematisch präzise Geometrie.
Analyse
Technisches Modell
Das technisches Modell des Wasserkochers steht auf der Plattform GrabCAD frei zur Verfügung. Es orientiert sich an der Basis des frühen Designmodells der Firma eliumstudio mit dem Namen Ceramic Art. Design und Materialeinsatz haben uns gefallen, so dass wir uns für dieses Model entschieden haben. Gut geeignet ist das Modell auch weil es in seiner technischen Variante nicht vertrieben wurde, sondern im Rahmen der Serienentwicklung noch verändert wurde. Das ist für uns ideal, um einen Class-A Entwicklungsprozess an diesem Modell zu simulieren.
Design
Das Design ist relativ pragmatisch gehalten und nutzt eine leichte, wirkungsvolle Modifikation der zylindrischen Grundform zur Auflockerung. Ausguss, Deckel und Griff bilden optisch eine Linie und bilden damit eine homogene Anmutung. Der Griff stellt mit seiner Anbindung zum Grundkörper einen harten gestalterischen Kontrast dar.
Material
Wie uns der Name "Ceramic Art" bereits verrät handelt es sich beim eingesetzten Material überwiegend um Keramik. Das ist grundsätzlich der richtige Ansatz, wenn man bedenkt, dass es mit dem Wasser im Kochvorgang in Kontakt kommt. Oftmals eingesetzt wird aus Kostengründen Plastik, dass sich überhaupt nicht dafür eignet. Weiterhin findet sich ein Polymer im Deckel sowie im Dekor, was für einen schönen Kontrast zur Keramik sorgt. Das gebürstete Metall im Sockel sowie in der Unterseite stellt vermutlich ein den Anforderungen entsprechenden Kompromiss dar. Schöner wäre wohl ein konsequenteres Einsetzen der Keramik gewesen. Der Schalter besteht aus Plexiglas und ist üblich bei Produkten dieser Preisklasse.
Die hervorgehobenen Areale stellen unser Augenmerk auf die Radien dar. Diese Verbindungen fangen nur tangential verrundet Schatten ein und bündeln Licht. Das wirkt sich stark negativ auf die gestalterische Qualität aus.
Technisches Modell
Optimierung
Das technische Modell ist vergleichbar mit einem sog. "Engeneering Sample", wie man es in der frühen Konzeptphasen im Design erstellt. Das technische Modell ist aus diversen Gründen noch nicht umsetzbar, denn es muss es erst an die technischen und gestalterischen Anforderungen der Serie angepasst werden. Hier zeigt sich bereits im Prozess, ob das Konzept der Designer funktioniert. Für den Designer mit Class-A Erfahrung ist dieser hier gezeigte Prozess exemplarisch. Aus dem Materialeinsatz bilden sich die Kriterien für die Herstellung. Das hat je nach Fertigungsmethode einen starken Einfluss auf das Design. Die Radiengrößen können sich zum Beispiel ändern weil sie nicht herstellbar sind. Oder man erreicht im Ergebnis nicht mehr die ergonomischen Anforderungen, weil die Radien zu scharf sind. Kurz um, es gibt reichlich optimierungspotenzial bei technischen Modellen.
Der aufbereitete Datensatz zeigt an dieser Stelle schon die ersten Probleme, wenn gerade Flächen tangential verrundet werden. Der Steg des Ausgusses fängt an den Radienausläufen Schatten und wirkt wie eingedrückt, obwohl er geometrisch gerade ist. Ein Qualitätsmangel, der sich durch das gesammte Modell zieht. Der Steg hat zudem keine konstante Breite im Radienschwerpunkt. Das reduziert die Qualität der Gestaltung unnötig. Der Ausguss selbst ist in dieser Version geschlossen, da keine Materialstärke definiert wurde.
Problemzone Griffbereich
Der Griffbereich weckt unterschiedliche Emotionen. Aus gestalterischer Sicht stellt der Übergangsbereich einen starken Kontrast dar. Unter ergonomischen Gesichtspunkten ist der Griff zu schmal und zu eckig. Der Griff ist in seiner Handhabung sehr unbequem, gerade weil er so schmal ist und man um so fester zugreifen muss und die scharfen Radien spürt. Auch die Herstellbarkeit ist etwas zu aufwändig. Es ist schade, dass man aus sicht des Design die gelegenheit für eine präzise gestalterische Definition aus der Hand gibt und später anderen die modifikation überlässt, was zwangsläufig passiert wenn es gefertigt werden muss. Warum man sich für eine solche Anbindung entschieden hat ist letztlich zweitrangig. Für die Serie wurde der Bereich vollends überarbeitet und man löste die genannten Probleme.
Deckel
Der Deckel passt sich aus gestalterischer Sicht gut an die Form an. Er zieht eine optische Linie zwischen Griff und Ausguss. Die beiden Taster liegen im Deckel und sind durch Polymer umgeben. Die Eckradien wirken nicht ausgewogen und bilden optische Schwerpunkte, die aus Sicht des Class-A Modelleurs besser platziert werden können. Gut in der Schattierung zu erkennen sind die tangentialen Radien, die Licht an Stellen fangen und bündeln, die beim Betrachter auf Fertigungsmängel hinweisen können. Wir würden aus gestalterischer Sicht den mittleren Deckelsteg an die Breite des Ausgusses sowie des Griffs anpassen und eine andere Mechanik zum Öffnen wählen. Für die Serie halten wir uns allerdings an die Vorgaben und belassen die Öffnungsmechanik wie sie ist. Schön ist in Summe die Materialwahl, sie bildet mit dem Polymer einen schönen Kontrast zur Keramik.
Im Optimierungsprozess werden Formen und Gestaltungen auf ihre Qualität hin überprüft. Am Beispiel (links) kann man an der Form des Ausgusses erkennen, was passiert wenn man tangential verrundet. Auch die Radienschwerpunkte stimmen nicht überein und müssen angepasst werden. Die Verrundungen werden krümmungs- oder sogar torsionsstetig modifiziert. Im Ergebnis (rechts) kann man sehr gut den Qualitätssprung beobachten, ohne das die Form in Mitleidenschaft gezogen wird. Durch das Verbessern der Flächen wird zudem der Schatten abgebaut.
Der Sockel des technischen Modells soll nahtlos mit der Form abschließen. In der Serie wurde die Sockelfläche verbreitert, was letztlich aus gestalterischer Sicht sinnvoll war um den Stand des Wasserkochers optisch stabiler zu gestalten. Die Radien des Metalls sind für unseren Geschmack zu spitz verrundet, aber grundsätzlich umsetzbar.
Serienmodell
Weg zur Serie
Als Vorbild für den Kriterienkatalog oder der To-do Liste dient die produzierte Serie. Dabei wurden gestalterische und ergonomische Gesichtspunkte sowie fertigungsspezifische Änderungen am Design vorgenommen. Gut zu erkennen ist der Ausguss, der seine Form komplett geändert hat sowie der Griffbereich mit seinen nutzerfreundlicheren Anpassungen. Der modifizierte Sockel hat vermutlich ästhetische Gründe und verleiht der Silhouette mehr Stabilität. Im Prozess der Optimierung haben wir Linien, Lichtverläufe und Volumen leicht modifiziert. Diese kommen so in der produzierten Serie nicht vor, denn diese wurde nicht Class-A optimiert. Dennoch haben wir penibel darauf geachtet, die Serie möglichst präzise abzubilden.
Die Serie bekommt eine verbesserte Qualität vor allem was die Verarbeitung des Materials betrifft. Allerdings verliert die Serie gegenüber dem Konzept an Geradlinigkeit. Die dazugehörigen Tassen bilden ein Gegengewicht zum Grundkörper des Wasserkochers.
Die Änderungen des Ausgusses sind im Vergleich zum technischen Modell recht stark ausgefallen. Warum man sich für eine andere Form entschieden hat ist an dieser Stelle natürlich Spekulation, aber wir gehen davon aus, dass die geradlinige Anmutung der technischen Version in Keramik schwer umsetzbar war. Wenn man den Ausguss näher betrachtet, sollte auf anhieb der gleichmäßige Steg auffallen. Ein wichtiger Faktor für die Qualität und Anmutung.
Der Griffbereich der Serie wurde entsprechend der Materialzusammensetzung geändert und besitzt nun saubere und vor allem typische (gemessen am Material Keramik) Übergänge. Neben den ergonomischen Faktoren gehen wir davon aus, dass diese Änderung auf Grund der Gestaltung sowie der Herstellbarkeit getroffen wurden. An allen Stellen sind gleichmäßige Stege und Verrundungen erfolgt die den Griff deutlich ausbalancierter aussehen lassen als den technischen Vorgänger.
Auch in dieser Ansicht kann man die Auswirkung der stärkeren Radien gut mit denen des technischen Modells vergleichen. Die Serie wirkt damit weicher und weniger steif. Fugen, Linien und Features wurden entsprechend der Serie angepasst und stellen durchweg mehr Raum zur Verfügung. Besonders die Radienschwerpunkte wurden angepasst, so dass die Formen deutlich definierter erscheinen. Der Deckel wirkt qualitativ hochwertiger im direkten Vergleich. Der Griff des Deckels wurde an die Breite des Ausgusses angepasst und bildet somit ein besseres Gleichgewicht.
Der Sockel des Serienmodells ist weicher verrundet und wurde breiter gestaltet was ihm mehr Stabilität verleiht. Man kann in den Flächen bis hin zu den Radienansätzen leichte Wölbungen erkennen. Das verbessert den Lauf des Lichts.
Zusammenfassung
Vergleich
Stellen wir die beiden Versionen zunächst gegenüber...
Unterschiede
Das technische Modell wirkt im direkten Vergleich mit der Serie geradliniger. Die Serie wurde letztlich deutlich stärker verrundet und erscheint damit weicher. Den Ausguss hätten wir gern aus dem Konzept in die Serie übertragen oder besser gesagt behalten, denn die Serie hatte zunächst noch den eckigen Ausguss und wurde später in die runde Version geändert. Das der Griffbereich der Serie stärker verrundet werden musste und zudem breiter wurde hat ergonomische Gründe. Die Silhouette beider Versionen wirkt stabil und sicher. Das wird durch die Bombierung der zylindrischen Grundform erreicht, deren Schwerpunkt näher zum Boden platziert wurde. Der Sockel in der Serienversion gefällt uns persönlich besser, weil er unserer Meinung nach die Form besser ausbalanciert. Allerdings auf kosten der Kompaktheit. Betrachten wir den hier gezeigten Prozess kritisch, könnte man anmerken, dass ein Vergleich zwischen technischer Version und Serienversion, die sich formal unterscheiden, ungeeignet ist für einen Class-A Prozess. Der Vergleich wäre stärker zwischen ein und der selben Form. Wir möchten aber klarstellen, dass Class-A auch ein Designprozess bzw. Gestaltungsprozess ist. In diesem muss sich die Form vielen Anforderungen unterwerfen.
Class A und Design
Wir hoffen wir konnten einige Einblicke in unseren Arbeitsprozess geben und aufzeigen, warum Class-A in den Designprozess und generell in das Produkt- und Industriedesign gehört. Class-A dient dabei nicht nur der reinen Gestaltung, es bildet viel mehr einen Kompromiss zwischen den Disziplinen und zielt dabei auf das beste Resultat ab.
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